Die medizinische Versorgung am Weltcuprennen in Solitude war erste Klasse. Noch nie in meiner ganzen Snowboardkarriere wusste ich so schnell über die Folgen meines Sturzes Bescheid. Innerhalb von schätzungsweise 45 Minuten wurde ich vom Unfallort weggebracht, untersucht und mit Krücken und Schiene ins Hotelzimmer entlassen. Dabei erfuhr ich von allen Helfenden eine grosszügige Portion amerikanische Freundlichkeit und merkte mir im Minutentakt Vorname und Funktion der neuen Gesichter.
«Hello, my name is Jordan. Can I help you?». Der freundliche Pistenpatroulleur hilft mir und setzt mich ein paar Schritte neben der Strecke in den Schnee. Die nächste Fahrerin kann starten. «Hast du Schmerzen?», «Ja, ich glaube mein Fuss ist gebrochen.» «Okay, wie heisst du? Wie alt bist du?», «Simona, 27.», «Kopfschmerzen? Schwindel? Hast du dir sonst was getan?», «Nein, alles okay. Mir geht’s gut. Bis auf den Fuss.» Jordan greift zum Funkgerät: «Wir haben eine 27-jährige Frau, Fussverletzung, stabil. Können wir einen Schlitten runter kriegen?»Langsam gewinnt der Verstand über den Bauch. Meine Schmerzen sind zu stark, um weiterhin zu hoffen, dass nichts passiert ist. Wieso? Wieso schon wieder? Das darf doch nicht wahr sein! – Okay, ruhig bleiben, jetzt mal runter zu den Ärzten, vielleicht ist’s ja nichts Schlimmes.
Neuschnee wirbelt mir ins Gesicht. Ich liege festgezurrt im Rettungsschlitten. In einem Konvoi aus Rettungshelfern jeweils vor und hinter dem Schlitten und mit Trainer und Physio im Schlepptau fahren wir vom Berg. Mein Schlitten wird direkt durch eine Luke im Erdgeschoss des Gebäudes gestossen.«Hi, I’m Keith, I’m the doctor in charge», stellt sich das nächste neue Gesicht vor. «Wir helfen dir gleich auf die Liege, halt dich fest.» Vom Rettungsschlitten lande ich unverzüglich auf dem Spitalbett. Annika gesellt sich zu mir, sie ist die behandelnde Ärztin. Ich befrei mich von meiner Ausrüstung. Handschuhe, Helm, Halstuch, Startnummer, Rennjacke, Rückenprotektoren, alles weg. Jetzt die Schuhe. Links geht einfach. Rechts ist die Hölle! Keith kehrt zurück, beginnt die klinische Untersuchung. «Tut’s hier weh?», «Nein.», «Und hier?», «Mmh, jein. Nein. Ein bisschen.», «Gut, und wenn ich das mache?» So geht’s weiter vom Knie runter bis zu den Zehen. «Wir machen ein Röntgen, die Bänder sehen auf den ersten Blick gut aus.»«Hello honey, I’m Claudia», strahlt die füllige Mexikanerin. Sie positioniert mich, bedeckt mich mit Bleiwesten. «Schön stillhalten.» Die drei Röntgenbilder sind schnell geschossen. Eine kurze Wartezeit, dann der Befund von Keith: «Schau, hier ist die Fraktur. Der Cuboid ist gebrochen.» «Es tut mir so Leid», meint Annika aufrichtig. Ich bekomme einen klobigen Schuh, der meinen Fuss stabilisiert. Amerikanische Krücken, Schmerzmittel. Zwischendurch zücke ich meine Kreditkarte, unterschreiben Formulare. Daneben telefoniert mein Trainer Mario mit dem Teamarzt in der Schweiz. «Falls du Fragen hast oder Hilfe brauchst, ruf mich an, jederzeit.», Annika drückt mir einen Zettel mit ihrer Nummer in die Hand. Ich bin entlassen.
Immer schneewärts,
Simona