Als Vorbereitung für die ersten beiden Weltcuprennen der Saison verbrachten wir die erste Hälfte unseres Südamerika Aufenthalts in Chile. Wir entschieden uns für ein Trainingscamp in Corralco, wo wir uns den Feinschliff für den Weltcupauftakt holten. Meine Aufwärmphase verlief ähnlich fein wie ein grob gestrickter Wollpullover im Vergleich zu einem Seidenhemd.
Die chilenische Trainingsbasis
«Wieso kommt ihr schon vom Berg? Gefällt’s euch nicht?», fragt Gerardo erstaunt. «Doch, alles bestens. Wir sind heute bloss zum Freifahren hier und haben uns das Skigebiet angeschaut.», beruhige ich unseren Fahrer. «Aber, ihr seid doch Profis. Wieso fahrt ihr nicht länger?», «Wir sind müde vom Reisen und beginnen morgen mit dem Training.» Halbwegs zufrieden akzeptiert Gerardo meine Antwort und lädt die Snowboards auf seinen Pickup.
Corralco ist ein kleines Skigebiet am Hang des Vulkans Lonquimay im Süden der Region Araukanien. Eine Handvoll Ski- und Sessellifte sind der ganze Stolz des Resorts. Das Wetterphänomen «La Niña» hat die Region mit sehr viel Schnee gesegnet. Bei unserer Ankunft ist die SBX Trainingsstrecke aus diesem Grund unter Schneebergen begraben und wir begnügen uns für den Beginn der Trainingszeit in Chile mit ein paar Starts und Freeride Abfahrten.
Untergebracht sind wir rund 40 Autominuten vom Skigebiet entfernt bei einem Deutschen Auswanderer. Er sorgt für unser leibliches Wohl mitten im chilenischen Niemandsland.
Das unerwartete Highlight
«Buenos días, Jaime kommt gleich.», begrüsst uns Gerardo. An die südamerikanische Pünktlichkeit haben wir uns längst gewöhnt. Genauso an den klapprigen Minibus von Jaime, der uns über die argentinische Grenze gebracht hat. Heute soll der Kurs fertig gebaut werden. Schliesslich findet am nächsten Tag das offizielle Training der für die beiden Südamerika Cups statt. Wir sind mit der Absicht, unsere Rennpraxis zu üben, an den kleinen Ort in Chile gereist. Trotz der bislang spärlichen Fahrten auf dem Kurs sollte sich jener Tag zu meinem Höhepunkt in Chile entwickeln.
«Wer kommt mit?», fragt Tim in die Runde. «Du spinnst doch, das tu ich mir nicht an.», tönt es aus der einen Ecke. «Ich bin gerne dabei.», aus der anderen. «Wie lange brauchen wir echt?» fragt ein Dritter. «Finden wir’s raus!», fordert Tim. Spontan entscheiden sich einige aus dem Team, auf den Vulkan hochzugehen. Wobei «gehen» optimistisch formuliert ist. Unser Abenteuer entpuppt sich als rund 90 Minuten langer Aufstieg über teils rutschige Passagen entlang eines Grats. Wir kraxeln, klettern, stapfen, keuchen und bewältigen schlussendlich die 500 Höhenmeter bis zum Gipfel. Ein wunderschönes Erlebnis mit einer umso schöneren Abfahrt!
Abflug statt Höhenflug
«Gewinnst du heute?», fragt Gerardo. «Möglicherweise.», halte ich mich zurück. «Komm schon, du gewinnst doch! Ich drücke dir die Daumen!» Im Verlauf der letzten Woche habe ich mit Gerardo über alles Mögliche gesprochen. Vom Militärputsch zu Strassenhunden bis hin zu Wettkampfglück. Er beginnt unsere Sportart zu verstehen und fiebert beim heutigen Rennen mit. «Mein Ziel ist es, zurück in den Wettkampfrhythmus zu finden und Heats zu fahren. Ich war letzten Winter verletzt und muss jetzt erst einmal meine Rennmaschine wieder hochfahren.», erkläre ich Gerardo, «Aber klar, gewinnen wollen wir doch alle.»
Sandra und ich entscheiden uns nach der Besichtigung, den ersten Trainingslauf gleich gemeinsam zu fahren. Ich voraus, sie hinterher. «Aaaahhhhh!» ein lauter Schrei bringt mich nicht schneller auf den Boden zurück. Ich sehe die Landung des ersten Sprungs unter mir vorbeiziehen. «Bloss auf den Füssen landen», sage ich zu mir. Sekundenbruchteile später liege ich im Schnee. Leute kommen angerannt. «Todo bien?», «Hast du die etwas getan?», «Scheisse, dein Helm. Bleib sitzen!»
«Mir geht’s gut. Alles halb so wild.», winke ich ab. «Dein Helm ist gebrochen. Geht’s dir gut?», fragt Sandra neben mir. Etwas wacklig auf den Beinen torkle ich zum Pistenrand. Mein Kopf fühlt sich klar an. Mein Hirn scheint zum Glück nicht erschüttert. Dennoch mache ich einen Abstecher zur medizinischen Notversorgung des Skigebiets. Mein Erinnerungsvermögen bleibt stark, genauso die übrigen Vitalzeichen. Glück im Unglück, aber der Renntag ist gelaufen. Mir ist dank Zahnschutz und Helm nichts Schlimmes passiert.
Missglückte Hauptprobe
Die Hauptprobe für die anstehenden Weltcuprennen in Argentinien ist missglückt. Passt irgendwie zu dem Trip. Schlimmer kann’s kaum werden. In dem Sinn, immer schneewärts in Richtung Bariloche.