«Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen.»

Johann Wolfgang von Goethe

Die vergangenen drei Tage passte der Leitspruch von Johann Wolfgang von Goethe bestens zu unserer Situation. Wir sind es gewohnt in sportlicher Manier möglichst schnell von A nach B zu gelangen. Reisen ist Mittel zum Zweck, wenn ich mit dem Schweizer Boardercross Team unterwegs bin. Warum J. W. G. trotzdem Recht behalten sollte, erzähle ich euch hier.

Teil 1 – Flug nach San Carlos de Bariloche

Zürich – Curacautín, Chile

Am Donnerstag Abend begannen wir unsere Reise nach Curacautín, Chile. Für die geplante Reise mit dem Flugzeug über Frankfurt – Buenos Aires – Bariloche und die anschliessende Autofahrt von knapp 600 km hatten wir optimistische 36 Stunden berechnet.
Kleinere Verspätungen und Zwischenfälle gehören zum Reisen. Wir sind jeweils mit viel Gepäck unterwegs. Pro Person ein Boardbag und eine Reisetasche à 23kg. Hinzu kommen Waxkisten, Physiotisch und ein paar extra Gepäckstücke. Da dauert das Check-In meistens länger und der Transfer von einem Flughafen zum anderen ist mit viel Schweiss und Muskelkraft verbunden.

Vor diesem Hintergrund schöpfte niemand Verdacht, dass diese Reise anders werden könnte, als bereits in Zürich die erste Portion Geduld gefordert war.

Ein überraschender Abstecher

Der Flug von Frankfurt nach Buenos Aires war mit einer geplanten Reisezeit von 13 Stunden angegeben. Die Boeing 747-8 war fast auf den letzten Platz besetzt. Als Einstieg ins Unterhaltungsprogramm entschied ich mich für «Going in Style». Während Morgan Freeman, Michael Cane und Alan Arkin ihr Renterndasein in den Wind schossen und einen Raubüberfall planten, bekam ich Getränke und eine warme Flugzeug Mahlzeit serviert. Schon nach drei Stunden in der Luft wurde meine Augenlider schwer und ich döste die nächsten sieben Stunden enstpannt in meinem Economy Class Sitz. Mit Johnny Depp in der Hauptrolle von «Transcendence» startete ich den zweiten Teil meines Unterhaltungsprogramms.
Dieser Programmpunkt wurde mit Durchsagen aus dem Cockpit unterbrochen: «Guten Tag, meine Damen und Herren, hier spricht Ihr Flugkapitän. Ich melde mich vorzeitig aus dem Cockpit, um Sie über eine Änderung unserer Reiseroute zu informieren.» Mit dem zweiten Satz hat der Kapitän die volle Aufmerksamkeit der deutschsprachigen Gäste gewonnen. «Wir befinden uns im Anflug auf Sao Paolo. Grund dafür ist ein Sicherheitsprotokoll der Lufthansa. Die umliegenden Flughäfen von Buenos Aires sind wegen schlechten Wetters geschlossen. Ohne die Möglichkeit nach Montevideo oder Rosario auszuweichen, bekommen wir in Buenos Aires keine Landeerlaubnis. Wir werden daher in Sao Paolo Zwischenlanden, um Treibstoff zu tanken. Eine Tank Nachfüllung bringt uns in die Lage, im Notfall einen weiter entfernten Flughafen wie Asunción anzufliegen.»

Das erste Zwischenziel
Gesagt, getan. Wir landeten in Sao Paolo, blieben brav auf unseren Sitzen sitzen, tankten den Riesenvogel und führten die Reise nach Buenos Aires fort. Meinen letzten Film, «Steve Jobs», schaffte ich pünktlich zur Landung. Nach einer totalen Reisezeit von 17 Stunden landeten wir zum Glück ohne Probleme und mit genügend Treibstoff im Tank. Unser Anschluss nach San Carlos de Bariloche war aber ausser Reichweite. Wir wurden umgebucht und pressierten mit Sack und Pack quer durch Buenos Aires. Flughafenwechsel, Stau auf den Strassen von Buenos Aires, erneute Umbuchung. Mehr Warterei. Die kleinen Zwischenfälle waren nicht mal mehr der Rede wert. Dass wir beim Check-In nicht auf der Passagierliste standen, brachte uns nicht aus der Ruhe. Ein, zwei Anrufe bei der Lufthansa und eine weitere Runde Kaffee später konnten wir endlich einchecken und weiterreisen. Das Vorhaben, noch am gleichen Abend nach Chile zu fahren, musste wir begraben, da die Grenze um 18 Uhr schloss und wir erst gegen 20 Uhr in San Carlos de Bariloche landeten.

Die Nacht im Hotel in Bariloche war eine Wohltat. Eine Dusche, ein richtiges Bett und ein Frühstück später ging die Reise weiter.

Teil 2 – Autofahrt nach Curacautín, Chile

Optimistische Ausgangslage
Für südamerikanische Verhältnisse war die Stunde Verspätung unserer Abfahrt kaum die Rede wert. Bis unsere Fahrer uns im Hotel abholten und wir das Transportauto mit all unserem Gepäck genügend gesichert hatten, wurde es 10 Uhr. «Keine Sorge, es sind nur 6 Stunden Fahrt. Wir haben alle Zeit der Welt, Pausen zu machen.» meinte unser Fahrer Jamie gut gelaunt. «Wichtig, ihr seid alles meine Freunde! Freunde von Jamie! Sagt das so an der Grenze. Wir sind zusammen unterwegs!» sagte er mit Nachdruck. Google Maps berechnete für die 573 km zwar 7h30min und in Anbetracht der maximal 70 km/h, die unser Kleinbus hinkriegte, fanden wir Jamies Ansage sehr optimistisch. Wir liessen uns die ersten zwei Stunden von der wunderschönen argentinischen Landschaft verzaubern und fuhren in Richtung der argentinisch-chilenischen Grenze.

Die argentinische Grenze

An der Grenze stiegen wir aus dem Minibus. Zehn Personen und Fahrer, gefolgt vom Transportwagen mit Fahrer. Wir erledigten die Formalitäten im argentinischen Büro. Meine Spanisch Kenntnisse sind in solchen Fällen jeweils von Nutzen. Die Zöllner wollten von mir wissen, wieviel Jamie von uns für den Transport verlangt. Ich hielt mich an seine Anweisungen und bestätigte, dass wir Freunde wären und er den Transport umsonst mache. Der junge Beamte akzeptierte meine Aussage widerwillig und winkte uns schliesslich durch. Wir stiegen zurück ins Auto, fuhren 15 Meter weiter und wurden dort erneut angehalten. Scheinbar fehlten für den Transportwagen noch irgendwelche Papiere. «Kein Problem, die Grenze ist ja bis 18 Uhr offen. Da haben wir noch ewig Zeit», witzelte Kalle.

Fehlende Lizenz, verzögerte Weiterfahrt

Mario klopfte ans Fenster, «Simona, kommst du mal raus, wir brauchen deine Hilfe.», «Klar, was kann ich tun?», «Da scheint ein Problem mit dem Transportwagen zu sein. Sie wollen uns nicht weiterfahren lassen.» Jamie kam auf mich zu: «Bitte geh rein und erklär denen, dass das alles euer Gepäck ist. Sie halten es für Ware und wir haben keine Lizenz, um Ware zu transportieren.» Kein Problem, dafür reicht mein Spanisch allemal. Ich erklärte den Zöllnern die Situation. Eine Tasche und ein Boardbag pro Person plus ein Paar extra Gepäckstücke. Es sei alles uns. «Schon klar, aber die Snowboards gelten als Ware.» beharrte der Zöllner. «Wir verkaufen die nicht, sondern fahren Rennen damit und bringen sie in zehn Tagen zurück nach Argentinien und danach in die Schweiz heim.», «Alles Gepäck muss im selben Fahrzeug wie deren Besitzer transportiert werden. Sonst gilt es als Ware. Und dieser Lieferwagen hat keine Lizenz, Ware zu transportieren.» entgegnete der Zöllner unbeirrt.

Alles diskutieren half wenig. Wir bewegten uns zwischen Lieferwagen und Büro hin und her und versuchten, eine Lösung zu finden. Zurück konnten wir nicht, weil wir eben aus Argentinien ausgereist waren. Weiter genauso wenig, weil unser Lieferwagen festgehalten wurde. «Gute Neuigkeiten!», strahlte der junge Zöllner plötzlich, «eure Snowboards wurden freigegeben.», «Wunderbar, danke! Und der Lieferwagen?», «Der bleibt hier. Keine Chance, der ist beschlagnahmt.» Meine Freude war von kurzer Dauer. Der kleine Erfolg, dass immerhin unser Gepäck freigegeben wurde, half in der ganzen Situation wenig.

30 km zwischen Argentinien und Chile

Das argentinische und chilenische Büro an der Grenze sind von einem 30km langen Pass getrennt. Diese Tatsache erschwerte unsere Weiterreise erheblich. Wir konnten nicht kurz mit allem Gepäck in der Hand über die Grenze marschieren. «Was, wenn wir mit dem Minibus auf die chilenische Seite fahren, alle aussteigen, Jamie zurück kommt und euch und das Gepäck abholt?», fragte ich Mario. «So kämen wir immerhin auf die chilenische Seite und könnten dort einen Ersatztransporter organisieren.» Jamie war begeistert von der Idee. Er habe in Chile seine Kontakte. Also nahmen wir den Plan in Angriff. Die Zöllner gaben ihr Okay. Wir müssten nur noch kurz alles Gepäck durch den Sicherheitsscanner schicken. Bei den Worten «kurz», «schnell», «einfach» läuteten bei mit mittlerweile die Alarmglocken. Nach insgesamt 3.5 Stunden Wartezeit an der Grenze fuhren alle sechs Athleten, die Physio, der Waxmann und ein erster Teil des Gepäck los. Nur schnell 30 km über den Pass.

Die chilenische Grenze

Auf der chilenischen Seite beeilten wir uns. Es war 16 Uhr und unser Fahrer musste noch die 30 km zurück, das Gepäck und unsere beiden Trainer holen und dann erneut 30 km über den Pass fahren. Die Grenze blieb noch zwei Stunden offen.
Im Gegensatz zur argentinischen Seite hatte es ein kleines Café, wo es Empanadas und Sandwiches zu essen und allerhand Snacks zu kaufen gab. Wir schichteten unser Gepäck in einen Zwischengang auf und stillten unseren Hunger mit Junkfood und Empanadas. Die Wifi Verbindung lenkte uns die kommenden zwei Stunden ab. In der Zwischenzeit fanden wir heraus, dass Jamie nicht bis um 18 Uhr hier sein, sondern erst um 18 Uhr auf der argentinischen Seite losgefahren sein musste. Unsere Nervosität hielt sich also in Grenzen, als um 18:30 Uhr noch niemand in Sicht war. Eine Viertelstunde später kamen sie endlich angefahren.
Das Problem mit dem Transportfahrzeug war nach wie vor ungelöst. Daher entschieden wir uns, dass alles Gepäck und die beiden Trainer zum nächst gelegenen Hotel gefahren werden sollten. Danach würde Jamie uns abholen und den ganzen verbleibenden Weg nach Curacautín bringen.

Kurz nach 20 Uhr fuhren wir nach vierstündiger Wartezeit an der chilenischen Grenze los. Die Fahrt von dort aus dauerte nicht wie angekündigt 4, sondern 7 Stunden. Entsprechend froh waren wir, um 3 Uhr nachts endlich in unser Bett zu fallen; mit 36 Stunden Verspätung.

«Der Weg ist das Ziel.»

Konfuzius